Wie das Buch zu mir fand:
Bei unserem Bloggertreffen in Köln durfte ich - wenn auch nur kurz - Gina Mayer kennen lernen, die mir auf Anhieb sehr sympathisch war. Nach einem netten Gespräch war mir schnell klar, dass ich unbedingt nachholen muss eines ihrer Bücher zu lesen. Auf dem Weg nach Hause formte sich dann auch noch die Idee eine neue Kategorie im blog zu eröffnen, in dem ich Autoren, deren Bücher mich intensiv berührt haben, gerne vorstellen möchte.
So entstand die neue Rubrik „Ein Name - Ein Buch“. Ich hoffe, dass ich hier nach und nach die Gelegenheit haben werde, diese Rubrik zu füllen.
Hier also zum Auftakt von Ein Name - Ein Buch mit Gina Mayer - Die verlorenen Schuhe.
Inhalt:
Schlesien im Herbst 1944. Inge, behütete Tochter wohlhabender Eltern, lebt auf Gut Hohenau. Es ist Krieg, doch für Sie ist dieser eher weit weg und eher eine beiläufige Begebenheit. Inge ist verlobt mit dem umschwärmten Wolfgang und hat eine genaue Vorstellung von ihrer Zukunft. Wolfgang und alle anderen Männer des Ortes sind an der Front. Das Gut wird daher von Fremdarbeitern aus Polen bestellt. Für Inge sind diese Menschen einfach nur da. Sie nimmt sie nicht wirklich wahr. Wanda, ist eines dieser Fremdarbeiter. Sie ist ein robustes und kräftiges Mädchen und arbeitet als Pferdeknecht des Hofes. Sie wurde von den Deutschen aus ihrer Heimat in Polen verschleppt und muss nun auf dem Hof arbeiten. Während Inge in ihrer eigenen Traumwelt lebt und ein verzerrtes Bild von der Realität hat, ist Wanda mitten im harten Leben. Sie und Inge haben kaum etwas miteinander zu tun. Bis....
der Krieg auch Gut Hohenau erreicht. Als Inge von ihrer Schule heimkommt, sind alle weg! Alle bis auf Wanda, deren Namen sie nicht eimal kennt. Deren Gegenwart ihr eher aufstößt. Doch ihr bleibt nichts anders übrig, als mit dieser ihr doch so fremden Wanda in die Flucht aufzubrechen. Eine Flucht, dessen Ziel nicht einmal klar ist. Eine Flucht, die voller Strapazen ist. Eine Flucht, die beide Mädchen von Grund auf formen wird.
Wahrheiten-Rezension:
Mit „Die verlorenen Schuhe“ hat Gina Mayer ein Buch geschaffen, in dem es ums Überleben geht, in dem es ums Erwachsen werden geht, in dem es ums Vertrauen und kämpfen geht. Sie hat eine Geschichte kreiert, die auf fesselnde Weise historische Tatsachen mit dem fiktiven Schicksal zweier Mädchen verbindet. Dies gelingt ihr ausgesprochen gut. Das Buch beschreibt die damalige Zeit sehr anschaulich und ermöglicht dem Leser Einblicke in eine Zeit, die uns zwar historisch bekannt, doch emotional so fremd ist. Gina Mayer gelingt es in ihrem Roman schreckliche Ereignisse behutsam und trotzdem sehr gut nachvollziehbar zu schildern, so dass jüngere Leser, für die dieser Roman gedacht ist, nicht überlastet werden. Mich hat insbesondere der Talent der Autorin beeindruckt die nötigen politischen Hintergründe darzustellen ohne mit dem Zeigefinger drauf zu zeigen und ohne den eigentlichen Fokus der Geschichte aus den Augen zu verlieren. Die Sprache der Autorin ist so weich und sentimental ohne zu flach zu wirken und verstärkt die Nähe zum Schicksal der beiden Mädchen. Die Geschichte liest sich absolut flüssig und der Leser möchte das Buch nicht zur Seite legen, ohne den Verlauf der Geschichte zu erfahren.
Es sind zahlreiche Passagen im Buch, wo man in Gedanken abschweift, da sie so viel Tiefe aufweisen.
„Man sieht einem Menschen immer nur ins Gesicht, hatte Wandas Mutter früher einmal zu ihr gesagt. Aber wie einer wirklich ist, das zeigt sich erst in der Not. Wie recht sie hatte, erkannte Wanda jetzt. Je tiefer sie und Inge in die Not gerieten, desto mehr erfuhren sie voneinander. Und desto mehr erfuhren sie auch über sich selbst.“
Beeindruckend fand ich auch die Entwicklung der beiden Mädchen zu verfolgen. Es war beeindruckend wie das Leben, der Krieg und die Umstände ihrer Flucht sie geformt haben. Die am Anfang so unterschiedlichen Personen sind durch ihr gemeinsames Schicksal zusammengewachsen. Hass-Frust-Ohnmacht-völlige Gefühlstaubheit finden letztendlich ihr Ende in einer unbeschreiblich sensiblen Freundschaft.
"Ich glaube, es gibt kein Ziel. Ich glaube, dass das Leben immer weitergeht, bis es einmal zu Ende ist. Man ist immer unterwegs.“
Fazit:
„Die verlorenen Schuhe“ von Gina Mayer ist ein Buch über Hoffnung, Liebe, Trauer, dem Kampf ums Überleben und über Freundschaft und Familie. Es ist ein tiefsinniger Roman über ein Stück deutscher Geschichte, die wunderbar jugendgerecht erzählt ist. Ich bin beeindruckt!
Gina Mayer im Interview:
Ich habe Dich als sehr fröhlichen Menschen empfunden. Wie kommt es, dass Du relativ ernste Bücher schreibst, die in einem bestimmten politischen Kontext eingebunden sind?
Die Frage kommt unweigerlich in fast jedem Interview, trotzdem habe ich bisher keine richtige Antwort darauf gefunden. Warum muss ich immer über Tod und Verderben schreiben, warum kann ich nicht mal einen Katzenkrimi verfassen oder eine harmlose Liebesgeschichte? Vielleicht liegt es daran, dass ich so lange an jedem einzelnen Buch arbeite. In einem Roman wie „Das Lied meiner Schwester“ steckt über ein Jahr meines Lebens. Da will ich mich auch mit Themen beschäftigen, die mir wirklich wichtig sind und mich bewegen. Ich will die Zeit nutzen, um etwas zu begreifen und zu lernen und mit jedem Buch ein bisschen zu wachsen.
Träumst Du von Deinen Figuren?
Von Inge und Wanda aus „Die verlorenen Schuhe“ habe ich oft geträumt. So nahe wie die Flucht aus Schlesien ist mir noch kein Thema gegangen. Vermutlich lag es an den vielen Interviews mit Zeitzeuginnen, die ich in dieser Zeit geführt habe. Die Gespräche mit den Frauen, die 1945 aus Schlesien geflohen waren, waren alle sehr emotional und ergreifend.
Wie sieht Dein Schreibtag aus? Hast Du dabei irgendwelche Rituale?
Rituale ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ich würde es eher Zwänge nennen. Ich schreibe jeden Morgen von acht bis eins, nachmittags und abends überarbeite ich das Geschriebene dann noch mal. Morgens trinke ich grünen Tee und Milchkaffee, nachmittags Kräutertee, abends Wein. Mein Leben ist eine einzige Zeitschleife.
Was war Dein Lieblingsbuch in Deiner Kindheit?
Ich mochte alles von Astrid Lindgren, Erich Kästner und Michael Ende. Und Enid Blyton. Und Berte Bratt. Die heute keiner mehr kennt, Gott sei Dank.
Ist das Recherchieren eher ein lästige Pflicht um einen in sich geschlossenen Roman zu schreiben, oder bedeutet es etwas anderes für Dich?
Schreiben macht mehr Spaß als Recherchieren, das steht fest. Aber die Recherche ist der Boden, aus dem der Roman wächst.
Wenn ich mir die Grundlagenforschung, dieses Suchen nach Details, das Rumstochern in Archiven und Erinnerungen, irgendwie ersparen oder wenigstens verkürzen könnte, würde ich es sofort tun. Aber es führt kein Weg dran vorbei. Und wenn man einmal die richtige Quelle entdeckt hat oder den richtigen Sachverständigen oder Zeitzeugen gefunden hat, dann ist das eine Offenbarung. Plötzlich begreift man Zusammenhänge, wo vorher nur Zahlen und Daten und Fakten waren. Und das ist wiederum ein gutes Gefühl.
Wir Bücherjunkies haben ja bekanntlich unsere Lese-Macken. Hast Du auch eine? Wenn ja, kannst Du sie uns bitte verraten?
Lesemacken? Hab ich nicht. Bei mir ist alles vollkommen normal. So lange ich nur immer ein Buch in der Handtasche habe und eins auf dem Nachtisch und drei bis zehn weitere darunter, die ich noch nicht gelesen habe. Nur wenn der Stapel niedriger wird oder wenn ich aus Versehen mal ohne Buch in die Bahn gestiegen bin oder im Wartezimmer sitze, fangen meine Hände an zu zittern und der Schweiß bricht aus und dann setzen die Wahnvorstellungen ein. Aber ansonsten, wie gesagt, alles im grünen Bereich. Süchtig? Nee, ich doch nicht.
Was bedeuten Dir Bücher und wie viel Platz nehmen sie in deinem Leben ein?
Sie bedeuten mir ziemlich viel (siehe oben) und sie nehmen auch ziemlich viel Platz ein. Also, um genau zu sein fast mein ganzes Arbeitszimmer und Teile des Wohnzimmers und den ganzen Bereich rund ums Bett und die Ablage neben den Herd und die Garderobe und den halben Keller.
2 Kommentare:
Dieses Buch habe ich auch sehr gerne gelesen und ich stimme dir bezüglich der Recherche und der Sprache voll und ganz zu. Das hast du treffend beschrieben!
Gina Mayers "Das Lied meiner Schwester" finde ich allerdings noch einen Tick besser als "Die verlorenen Schuhe", wobei es sich jedoch auch um zwei verschiedene Genres handelt. Die Rezension dazu kannst du auch auf meinem Blog finden.
Zu Autorin selbst kann ich nur sagen: Sehr sympathisch und aufgeschlossen :)
@Ada Ich freue mich, dass Du den Weg zu meinem Blog gefunden hast;) Zumal ich deine Rezensionen für sehr gut halte. "Das Lied meiner Schwester" werde ich dann als nächstes von Gina Mayer lesen und freue mich schon sehr darauf.
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